Das stille Gebet – es hat seinen festen Ort im evangelisch-württembergischen Gottesdienst. Wie sehr ich es liebe! Zu Zeiten, da so viele redend (telephonierend) durch die Straßen ziehn, gibt sich die Stille als Frau, die vor einem Spiegel steht; im Spiegel nicht sich selbst, vielmehr das Taubengrau einer uralten Haustür betrachtet: ein Sich-Öffnen auf’s Christusantlitz hin. Die Stille des Mönchtums; Stille gleichermaßen des uralt schwäbischen Lebens. Stille eines Schwalbenflugs, eines Halms, eines andalusischen Feldwegs. Gott ist auf der Suche nach meiner armen, unendlich reichen Seele, die verlassen hat die Schule, die sich im Wirrwarr antiker Bibliotheken verloren. Sofern ich auf der Terrasse stehe einer Winterfrühe, vernehme ich, Kind des tragischen Jahrhunderts, Gottes Ruf. Ich weiß, daß Gott mich finden wird. Vergib uns unsre Schuld. Der Rechenstift empfängt die letzte Ölung. Das Eintauchen des Stifts in goldnen Wein. Gegenstände rufen nach einem Kult, nach einem Segen. Ach, mein Ruf nach Stille, nach dem Abendrot.

Autor: fentzloff

Ulrich Fentzloff, 1953 in Ludwigsburg geboren und aufgewachsen. Kind poetisch verklärter Tage in einem Württemberg des Geistes. Studium der Evang. Theologie und der Philosophie an der Universität Tübingen. Vikar in Leonberg-Silberberg. Pfarrverweser in Unterlenningen, am Fuße der Schwäbischen Alb. Gemeindepfarrer in Kirchberg/ Jagst (Hohenlohe), an der Johanneskirche in Stuttgart, und schließlich, 25 Jahre lang, bis Sommer 2016, in Langenargen am Bodensee. Lebt als Dichter in Konstanz. Absichtlich deckt den Ausgang des Tages zu, Umnachtet das Zukünftige uns der Gott Und lacht, wenn sterblich eins zu sehr be- Sorgt, was geschehen wird. (Horaz, in der Übersetzung Friedrich Hölderlins)