Ich sitze, eine Toscanello rauchend zum Espresso, an einem Tischchen vor dem Café. Ich beobachte einen Bettler, der auf der gegenüberliegednen Straßenseite eine Bank belegt hat mit seinen Plastiktüten, seinem Rucksack; der Vorübergehenden den Hut entgegenhält, von Zeit zu Zeit ein Notizbuch zur Hand nimmt, eifrig darin zu schreiben. Ungeachtet des winterlichen Wetters trägt er kurze Hosen; Bergstiefel dazu, mehrere Schals, den Anorak über vermutlich mehreren Pullovern. Eine verwahrloste Erscheinung, die zuweilen lautstark unverständliche Worte hinausschreit in die Welt. Meine Gefühle schwanken zwischen Mitleid und Verachtung; Gefühle eines anständig gekleideten Bürgers. Gefühle, die eine große Distanz zwischen uns beiden voraussetzen. Dann unvermittelt der Gedanke, daß ich mich von diesem Bettelmann unwesentlich unterscheide. Daß auch in mir ein Betteln, ein Rufen, ein Aufschauen, eine Not. Wir sind Bettler. Das ist wahr – Worte, die Martin Luther vermutlich am Vorabend seines Todes niedergeschrieben. Zwei Bettler, die einander gegenüberübersitzen. Wir beide sind ein Augenblick in Gott. Wer tritt, wenn die Lilie ruft, im Tuch der Hirtenmäntel, segnend an das Grab, beugt sich übers Lager all der Siechen, bringt den bunten Stein, das hohe Wort, den Honigseim? Ich will Christus denken, will ihm danken, will ihm dienen. Wir sind Bettler. Das ist wahr.