Ihr ahnt die linien unsrer hellen welten –Stefan George zeichnet ein ums andere Mal feinlinig eine unzerstörbare Schönheit ins Weltendüster: Die bunten halden mit den rebenkronen / Den zefir der durch grade pappeln flüstert. George beheimatet die menschliche Seele nachgerade im Licht: Doch unser aller heimat bleibt das licht. Ich spaziere am Seeufer entlang unter den Platanen. Der Richtung Friedrichshafen aufbrechende Katamaran löst sich auf im Nebel. Ich empfinde körperlich geradezu jenes metaphysische Dunkel, welches auf Städten und Dörfern, auf den Stirnen liegt der Sterblichen. Ich habe Streichhölzer zu Hause vergessen, bitte den Graureiher um Feuer. Der findet lediglich eine leere Zündholzschachtel in seiner Umhängtasche. »Ich kann Dir leider nicht weiterhelfen.« Er ist alt und traurig. Er verabschiedet sich und fliegt seinem späten Tod auf dem offenen See entgegen. Ich höre ihn singen. Sein Lied ist mir von der Kinderkirche her noch bestens vertraut. Mein Gedächtnis summt die Melodie zuweilen. Nun ruhen alle Wälder … Ach, unvergessen die Strophe, die meine Mutter mit uns Kindern abends oft gesungen: Breit aus die Flügel beide, / o Jesu, meine Freude, / und nimm dein Küchlein ein. / Will Satan mich verschlingen, / so laß die Englein singen: / Dies Kind soll unverletzet sein. Ob das Leben nur Lektüre, Spätschicht, Grabgesang zuweilen? »Des Abends fand ich in der Leere eines Gartens / Die Andeutung von Schlaf. In Einkaufstüten gut verstaut / Die Qual des Wachseinmüssens. Um den Kopf / Das Tuch betagter Seeräuber gebunden. // Ihr lieben Kinderlein, wer, der jemals eine Antwort fände?« (aus Texte studierend der Stoa)

Autor: fentzloff

Ulrich Fentzloff, 1953 in Ludwigsburg geboren und aufgewachsen. Kind poetisch verklärter Tage in einem Württemberg des Geistes. Studium der Evang. Theologie und der Philosophie an der Universität Tübingen. Vikar in Leonberg-Silberberg. Pfarrverweser in Unterlenningen, am Fuße der Schwäbischen Alb. Gemeindepfarrer in Kirchberg/ Jagst (Hohenlohe), an der Johanneskirche in Stuttgart, und schließlich, 25 Jahre lang, bis Sommer 2016, in Langenargen am Bodensee. Lebt als Dichter in Konstanz. Absichtlich deckt den Ausgang des Tages zu, Umnachtet das Zukünftige uns der Gott Und lacht, wenn sterblich eins zu sehr be- Sorgt, was geschehen wird. (Horaz, in der Übersetzung Friedrich Hölderlins)