Apokalyptisch eisigblaue Vögel ziehen Nebelwände als Kulissen auf die Weltenbühne, wo zu dieser Stunde ein Turner seine Übungen noch abschließt und ein Handwerker einen riesigen Kleiderbügel an einer Leiter befestigt (ich frage mich, wessen Totenhemd darüber gehängt werden soll?). Ich sitze seit Stunden in der Straßenbahn, quere die Stadt von West nach Ost, von Ost nach West; will das Gefährt gar nicht mehr verlassen – als ob ich im monotonen Unterwegssein eine Art Zuhause gefunden. Müde bin ich, geh zur Ruh, schließe beide Äuglein zu. Ich erinnere einen Spaziergang im Lyon der Achtzigerjahre, als mich augenblicklich der Einfall beglückte, ich sei der Faden einer wunderbar gewobenen Zeltwand, die man auf die zerrissene Gegenwart eines Stadtrands gelegt. Man hatte beabsichtigt, wähnte ich, zu verhindern, daß der Frost den kranken Häusern einen unheilbaren Schaden zufügen könnte; daß also eine heilende Kraft von Schönheit in meinem Leben wöbe. In den Augenwinkeln einer Stadt friert das Fragment der Ulme; ich indes Jesu unzerstörbare Gegenwart empfinde. Die Schlaflosbarke färbt den See in ein Grau der Wandtafel.

Autor: fentzloff

Ulrich Fentzloff, 1953 in Ludwigsburg geboren und aufgewachsen. Kind poetisch verklärter Tage in einem Württemberg des Geistes. Studium der Evang. Theologie und der Philosophie an der Universität Tübingen. Vikar in Leonberg-Silberberg. Pfarrverweser in Unterlenningen, am Fuße der Schwäbischen Alb. Gemeindepfarrer in Kirchberg/ Jagst (Hohenlohe), an der Johanneskirche in Stuttgart, und schließlich, 25 Jahre lang, bis Sommer 2016, in Langenargen am Bodensee. Lebt als Dichter in Konstanz. Absichtlich deckt den Ausgang des Tages zu, Umnachtet das Zukünftige uns der Gott Und lacht, wenn sterblich eins zu sehr be- Sorgt, was geschehen wird. (Horaz, in der Übersetzung Friedrich Hölderlins)