Ich habe den Puppenspieler bewundert. Er lebte mit seiner Frau und einem seelisch kranken Sohn einsam in den Bergen. Zu den Aufführungen in den Städten kam er in die Niederungen der Zivilisation, um so bald als möglich wieder hinaufzuwandern in die Alpeneinsamkeit. Seine großartige Vision bestand darin, Poesie nicht als ein Niedergeschriebenes zu betrachten; vielmehr als Lebensform. Er lebte Poesie. Er war Grashalm und Gewitterfront, er kniete in seinem Tempel, einem Schafstall hoch droben, er schrieb wie Jesus mit dem Finger auf die Erde, er las täglich in den Essais von Montaigne. Jeder Schritt war ein Vers. Sein Lachen war weiß wie eine Birke. Zu seiner Beerdigung kamen sie aus den umliegenden Bergdörfern; Städter auch viele mühten sich hinauf. Er war eine Legende. Viele weinten an seinem Grab. Vom Friedhof aus konnte man weit sehen. Der Tod war nicht das Ende, vielmehr der Logos, das allgründende Wort. Auf dem Grabstein des Puppenspielers kann man ein Hölderlinwort aus den allerspätesten Turmgedichten bestaunen: »So sinkt das Jahr mit einer Stille nieder.«

Autor: fentzloff

Ulrich Fentzloff, 1953 in Ludwigsburg geboren und aufgewachsen. Kind poetisch verklärter Tage in einem Württemberg des Geistes. Studium der Evang. Theologie und der Philosophie an der Universität Tübingen. Vikar in Leonberg-Silberberg. Pfarrverweser in Unterlenningen, am Fuße der Schwäbischen Alb. Gemeindepfarrer in Kirchberg/ Jagst (Hohenlohe), an der Johanneskirche in Stuttgart, und schließlich, 25 Jahre lang, bis Sommer 2016, in Langenargen am Bodensee. Lebt als Dichter in Konstanz. Absichtlich deckt den Ausgang des Tages zu, Umnachtet das Zukünftige uns der Gott Und lacht, wenn sterblich eins zu sehr be- Sorgt, was geschehen wird. (Horaz, in der Übersetzung Friedrich Hölderlins)