»Um die Wahrheit zu sagen: / Ich verstehe nichts. / Es gibt nur unseren ekstatischen Tanz, / Teil eines Ganzen. / Sie werden geboren & sie sterben. / Der Tanz hört nimmer auf. / Ich lege die Hand mir auf die Augen, / Mich vor der Fülle der Bilder zu schützen, / Welche mir entgegenfluten …« (Czesław Miłosz, Theologischer Traktat, Nr.16) Ich war ergriffen stets – in fraglos kindlicher Aufrichtigkeit – von leidenschaftlicher Lektüre. Hölderlins Gedichte erscheinen mir seit einiger Zeit als eine Gestalt des Tanzes. Jemand fragt: » Sind Sie Tanzlehrer?« Ich zögere; antworte dann: »Sie liegen gar nicht so falsch. Ja, mein Leben hat mit Tanz zu tun.« Jeder Tanzschritt wäre das verzweifelte wie auch anspruchsvolle Unterfangen eines geistadligen Erhobenwerdens über poesievergessenen Alltag. Mein Tanzen folgte einem abseitigen Feldweg, weit von Städten, den Bühnen der Metropolen, entfernt; Feldweg, der an steinigen Äckern sich hinzöge. Mein Tanz stünde für keine Hauptrolle, wäre eher, der japanischen Malerei verwandt, eine Studie von Zweig und Blume und Blüte. Und ganz fern auch das Nachahmen von Streifzügen des Tiers, dessen Streichen durchs Unterholz, dessen Dastehn und Trauern. Mein Tanz wäre eine Suche nach Schönheit, nach der Schönheit eines Zweigs inmitten der Kriege, eine Suche nach unbekannten Gärten, nach dem Antlitz des Christus; mein Tanz suchte am Rand von Feldweg und Totenweg und Kirchweg und Tempelweg ein weltvergessenes Vor-sich-hin-Blühen des Schritts. Mein Tanz erschiene als Skizze ohne Anfang und Ende: »Süß ists, zu irren / In heiliger Wildnis.« (Hölderlin, Tinian)

Autor: fentzloff

Ulrich Fentzloff, 1953 in Ludwigsburg geboren und aufgewachsen. Kind poetisch verklärter Tage in einem Württemberg des Geistes. Studium der Evang. Theologie und der Philosophie an der Universität Tübingen. Vikar in Leonberg-Silberberg. Pfarrverweser in Unterlenningen, am Fuße der Schwäbischen Alb. Gemeindepfarrer in Kirchberg/ Jagst (Hohenlohe), an der Johanneskirche in Stuttgart, und schließlich, 25 Jahre lang, bis Sommer 2016, in Langenargen am Bodensee. Lebt als Dichter in Konstanz. Absichtlich deckt den Ausgang des Tages zu, Umnachtet das Zukünftige uns der Gott Und lacht, wenn sterblich eins zu sehr be- Sorgt, was geschehen wird. (Horaz, in der Übersetzung Friedrich Hölderlins)