Die Nächte sind verregnet, bitterkalt. Sehr fern der Straßenlärm, der nur die Stirn berührt. Es ist eines, die Endlichkeit unseres irdischen Lebens zu bedenken; ein anderes, sie wirklich wahrzunehmen, wie einen Hauch eisigkalter Luft zu empfinden. Es ist eines, zu wissen; ein anderes gedemütigt zu werden von Erkenntnis. Vom Ende der weitläufigen Terrasse her sehe ich den Schein der Schreibtischlampe und verstehe, daß die Lichter dieser Welt erlöschen werden. Schreibtischlampen sind Psalmen, Klänge de profundis, Hände, die auf Schultern sich legen und trösten, Mut zusprechen. Schmucklos das Gewand der Stunde; schmucklos das homerische »Ertrage!« Unter dem ( geizig) sternlosen Himmel wird ein Dorf nach dem anderen abgerissen wie ein Kalenderblatt. Der Gesang einer unermeßlich die Kindheit durchwaltenden Gottursprünglichkeit ist verklungen. Mein Dorf. Dachterrassen in den Feuern eines Krieges. Kastanien. Tierkadaver. Woran niemand je geglaubt, was auszudenken niemand gewagt, ist geschehen. Durch die Lungen der Kirchenorgel zieht winterlich frostiger Wind.

Autor: fentzloff

Ulrich Fentzloff, 1953 in Ludwigsburg geboren und aufgewachsen. Kind poetisch verklärter Tage in einem Württemberg des Geistes. Studium der Evang. Theologie und der Philosophie an der Universität Tübingen. Vikar in Leonberg-Silberberg. Pfarrverweser in Unterlenningen, am Fuße der Schwäbischen Alb. Gemeindepfarrer in Kirchberg/ Jagst (Hohenlohe), an der Johanneskirche in Stuttgart, und schließlich, 25 Jahre lang, bis Sommer 2016, in Langenargen am Bodensee. Lebt als Dichter in Konstanz. Absichtlich deckt den Ausgang des Tages zu, Umnachtet das Zukünftige uns der Gott Und lacht, wenn sterblich eins zu sehr be- Sorgt, was geschehen wird. (Horaz, in der Übersetzung Friedrich Hölderlins)