Ein einziges Boot liegt an der Uferallee, meiner geliebten Konstanzer Rive Gauche. Die Barke, wann immer ich an ihr vorüberschreite, stellt mir die Frage, ob die derzeitige Krise der europäischen Zivilisation den bevorstehenden Untergang andeute, oder ob wir vor einem Neuanfang stünden. Ich antworte regelmäßig, daß ich, vom baumeisterlichen Denken und Empfinden eher getragen, die Offenbarung einer hohen Kultur vorausahne. Etwas sei im Aufgehen begriffen, von dem allenthalben Poesie, Musik, Malerei und Tanz und Gebet, weit entfernt von einer klar umrissenen Begrifflichkeit, zeugen würden. Die Barke fragt, ob dies Neue von Gott ausgehe, ob es der Menschenhände Werk eher sei? Ob beides ineinanderspiele? Ich bin um eine Antwort verlegen; summe eine kleine Melodie, in welcher etwas anklingt von geistiger Anmut wie auch Kargheit, von Ernst und Gelassenheit. Ich steige zur Barke hinunter an die Anlegestelle, lege die Hand ihr, bildlich gesprochen, auf die Schulter, wünsche ihr ein geistüberglänztes Jahr. Arme Barke, Du vermißt Deine Geschwister, deren Umtriebigkeit, deren Sich-Verlieren in gedankenloser Alltäglichkeit; wann wird man sie wieder zu Wasser lassen, all die anderen Boote des Sommers, die bunt lackierten und oft schwer beladenen, vielsprachig durch alle möglichen Wetter sich mühenden Kinder des Sees?

Autor: fentzloff

Ulrich Fentzloff, 1953 in Ludwigsburg geboren und aufgewachsen. Kind poetisch verklärter Tage in einem Württemberg des Geistes. Studium der Evang. Theologie und der Philosophie an der Universität Tübingen. Vikar in Leonberg-Silberberg. Pfarrverweser in Unterlenningen, am Fuße der Schwäbischen Alb. Gemeindepfarrer in Kirchberg/ Jagst (Hohenlohe), an der Johanneskirche in Stuttgart, und schließlich, 25 Jahre lang, bis Sommer 2016, in Langenargen am Bodensee. Lebt als Dichter in Konstanz. Absichtlich deckt den Ausgang des Tages zu, Umnachtet das Zukünftige uns der Gott Und lacht, wenn sterblich eins zu sehr be- Sorgt, was geschehen wird. (Horaz, in der Übersetzung Friedrich Hölderlins)