Noch liegt ein Streifen Dunkelheit auf der Stunde. Wilhelm IX. von Aquitanien tritt, nach so vielen schlafend zugebrachten Jahrhunderten, von ersten frühen Vogelstimmen gerufen, in den Tag. Der Troubadour wirft sein Lied in den Wind; dabei die Melodie an Birkenwälder erinnert, an deren ungebrochenes Weiß; Melodie, der ein Ursprüngliches anhaftet, das melancholisch stille Fließen archaischer Flüsse. Bald wird Wilhelm IX., von einer Viole begleitet, auf dem Landesteg singen, an manchen Wegen singen, die in die Gassen führen der mittelalterlichen Stadt. L’histoire, die Todschattenschlucht – gleichwohl: der Troubadour ist da, spielt auf vor deinen Augen; unendlich erhaben seine Lieder; du hörst sie nicht; du gewahrst einzig Scherben auf dem Kopfsteinpflaster; des Troubadours Gesang ungehört verglüht. Niemand wohl, der stehen bliebe, innehielte, Gedanken ins Notizbuch zeichnete. Längst gehören wir, plappernd unablässig, einem Vorüberstürzen, Enteilen, einem In-die-Leere-Stürzen. Wer ihn jedoch sieht, den Troubadour! Feinsinnig und sacht die Birken Wilhelms IX. von Aquitanien entwerfen ein Gemälde, schreiben den gesungenen Tanz auf die Mauern deines Leben. Merke auf, der kyrios schreitet am Rhein entlang.

Autor: fentzloff

Ulrich Fentzloff, 1953 in Ludwigsburg geboren und aufgewachsen. Kind poetisch verklärter Tage in einem Württemberg des Geistes. Studium der Evang. Theologie und der Philosophie an der Universität Tübingen. Vikar in Leonberg-Silberberg. Pfarrverweser in Unterlenningen, am Fuße der Schwäbischen Alb. Gemeindepfarrer in Kirchberg/ Jagst (Hohenlohe), an der Johanneskirche in Stuttgart, und schließlich, 25 Jahre lang, bis Sommer 2016, in Langenargen am Bodensee. Lebt als Dichter in Konstanz. Absichtlich deckt den Ausgang des Tages zu, Umnachtet das Zukünftige uns der Gott Und lacht, wenn sterblich eins zu sehr be- Sorgt, was geschehen wird. (Horaz, in der Übersetzung Friedrich Hölderlins)