Ich wohne an der Grenze zur Schweiz – gleichwohl vermag ich des Eindrucks mich nicht zu erwehren, ich lebte in geistiger Hinsicht auf einer Atlantikinsel vor der bretonischen Küste. Gott alleine weiß, weshalb ich ausgerechnet an einen solchen Ort gesandt, auf eine Insel verbannt bin. Ich beabsichtigte nie, Außenseiter zu sein. Nie, daß ich ein insulares Dasein angestrebt hätte. Ich habe nie die Entscheidung getroffen, ein metaphysisch, poetisch empfindender und denkender Einzelner zu werden. Es ist die kindlich anmutende Christusliebe, die mich hat einsam werden lassen im XX. und vollends im XXI. Jahrhundert. Warum bin ich in diese Zeit geworfen worden? In einem anderen Jahrhundert hätte ich, was das Denken anbelangt, auf keiner Insel mein Dasein fristen müssen, hätte ich im Landesinneren eine Wohnstatt gefunden. Wir sind jeweiligen Epochen, dem jeweiligem Zeitgeist ausgeliefert. Das Jahrhundert verfügt darüber, ob wir im Chor mitsingen dürfen oder den vereinsamten Melodien gehören der Melancholie. »Wir heiraten die Zeit. / Rhododendronblüten singen eher beiläufig / Ihr Lied im kalten Wind der Frühe. / Aus den Schatten solcher Trunkenheit, / Die taubenblau verweint, trägt der Mond / Als Trauzeuge die Ringe / An den Altar. // Wir heiraten die Zeit, / Derweil die Amsel, in sich selbst versunken, / Ihr kleines, scheues Rotweinlicht vergißt. / Im Gewand des Sommers kommt, mit Kähnen, / Darauf die Toten wohnen, der See / In unser Kinderkrankenhaus. Wir heiraten die Zeit.« (Die Turmuhr und der Bräutigam)

Autor: fentzloff

Ulrich Fentzloff, 1953 in Ludwigsburg geboren und aufgewachsen. Kind poetisch verklärter Tage in einem Württemberg des Geistes. Studium der Evang. Theologie und der Philosophie an der Universität Tübingen. Vikar in Leonberg-Silberberg. Pfarrverweser in Unterlenningen, am Fuße der Schwäbischen Alb. Gemeindepfarrer in Kirchberg/ Jagst (Hohenlohe), an der Johanneskirche in Stuttgart, und schließlich, 25 Jahre lang, bis Sommer 2016, in Langenargen am Bodensee. Lebt als Dichter in Konstanz. Absichtlich deckt den Ausgang des Tages zu, Umnachtet das Zukünftige uns der Gott Und lacht, wenn sterblich eins zu sehr be- Sorgt, was geschehen wird. (Horaz, in der Übersetzung Friedrich Hölderlins)